Viele Cafés in Wien, Prag und Berlin tragen altehrwürdige Namen: Central, Slavia oder Josty versprechen Kaffeehauskultur mit Tradition. So manche Cafés aus der Glanzzeit des Kaffeehauses um 1900 sind längst verschwunden – und nur wenige bewahren den Geist der Zeit, als das Kaffeehaus für Intellektuelle zum „zweiten Wohnzimmer“ avancierte…

Am Eingang des Café Central in Wien sitzt der Dichter Peter Altenberg als lebensgroße Pappmachéfigur. Mit Schnurrbart, Halbglatze und Fliege scheint der Kaffeehausliterat die kommenden Gäste zu mustern, die rechte Hand schreibbereit auf einen Marmortisch gelegt.

Der berühmte Gast, der sich so oft im Central aufhielt, dass er es als Postadresse ausgab, verweist auf die Tradition des Ortes. Das Central gehört zu den Cafés, wo Peter Altenberg, Leo Trotzki, Sigmund Freud und andere Künstler, Politiker und Wissenschaftler vor hundert Jahren ein und aus gingen.

Während das Kaffeehaus heute einer von vielen öffentlichen Treffpunkten ist, war es im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert das gesellschaftliche und kulturelle Zentrum in europäischen Metropolen. Hier wurde gelesen, diskutiert, geschrieben, ein Nickerchen gemacht, Schach oder Billard gespielt und Geschäftliches erledigt.

Auslage mit 250 Zeitungen im Café Central

Viele Cafés in Wien, Prag und Berlin leben von ihrer legendären Tradition. So lockt auch der Ruf des Central in Wien, das sich als „berühmtestes Kaffeehaus der Welt“ bezeichnet, etliche Touristen an.

Die runden Marmortischchen, Hänge-Lampen und hohen Fensterbögen, die um 1900 zum Aussehen gehörten und den Typus des Wiener Kaffeehauses prägten, sind hier heute noch zu finden.

Die Kellner tragen traditionsgemäß schwarz-weiß und servieren zahlreiche Kaffee-Spezialitäten. Nach wie vor gibt es nationale und internationale Zeitungen – zu Altenbergs Zeiten lagen sogar 250 verschiedene aus, was das Café zur Lesestube machte.

Theatercafé unter Denkmalschutz

Von den etwa 700 Kaffeehäusern in Wien zählen rund 100 zu den althergebrachten – darunter das vom Architekten Adolf Loos eingerichtete Künstler- und Musikercafé Museum, dessen klare, einfache Formen um 1900 für Empörung sorgten, und das Theatercafé Landtmann, dessen holzgetäfeltes Interieur unter Denkmalschutz steht.

Während in Wien ein Stück lokaler Kulturgeschichte weitgehend erhalten wurde, haben in anderen Metropolen nur wenige Lokale aus der Glanzzeit des Kaffeehauses überlebt.

Polsterbänke und große Wandgemälde

In Berlin suchen Kaffeehaus-Interessierte fast vergebens nach den Cafés, die in den Zwanziger Jahren zentraler öffentlicher Treffpunkt waren. Auch in der Hauptstadt gibt es Traditionslokale wie das Café Einstein, in deren Dependance

Unter den Linden sich Politiker die Klinke in die Hand geben, oder das Café Hardenberg – beliebter Studententreffpunkt in der City-West mit Polsterbänken und großen Wandgemälden. Entstanden sind diese Cafés allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg oder noch viel später.

„Kaffeehaus erspart uns eine Wohnung“

Bei Stadtführungen durch den Berliner Westen weisen die Guides notgedrungen mit alten Fotos auf die bekanntesten, verschwundenen Kaffeehäuser hin: das Café des Westens und das Romanische Café, beides zentrale Orte der Boheme – verewigt in Gedichten, Dramen und Prosastücken ihrer berühmten Gäste.

Bertolt Brecht, Richard Strauss und Christian Morgenstern kehrten dort ein. „Das Kaffeehaus erspart uns sozusagen eine Wohnung, die man nicht unbedingt haben muß, wenn man ein Kaffeehaus hat“, fasste Egon Erwin Kisch über diese Lebens- und Arbeitsstätte zusammen.

Café Kranzler auf die Rotunde verkleinert

Heute befindet sich an der Stelle des Romanischen Cafés nahe der Gedächtniskirche ein Einkaufszentrum. Am alten Standort des Café des Westens ist in einem Neubau das berühmte Café Kranzler untergebracht.

1835 vom Konditor Johann Georg Kranzler auf der Prachtstraße Unter den Linden als Treffpunkt der Oberschicht eröffnet, zog es bereits 1934 in die Räume des einstigen Café des Westens am Kurfürstendamm um.

Seitdem wurde es – unter anderem abrissbedingt – mehrfach geschlossen und wieder eröffnet. Vom historischen Flair ist in dem Café mit den weiß-roten Markisen, in dem Gäste wie Altbundeskanzler Helmut Kohl oder Sänger Udo Lindenberg Platz nahmen, wenig zu spüren.

Statt auf zwei Etagen erstreckt sich das Kaffeehaus im Neuen Kranzler Eck nur noch auf die auf Rotunde. Das Interieur wurde modernisiert, unter anderem mit geschwungenem Tresen, Stehhockern und Einbau-Deckenleuchten. Das Café mutet eher puristisch als gemütlich an.

Besitzer vertrieb Künstler aus dem Josty

Von den etwa 550 Kaffeehäusern, die es 1928 in Berlin gab, kehrte 2001 ein weiteres zurück: das Café Josty – Schauplatz in Erich Kästners Kinderbuch „Emil und die Detektive“ und einst beliebter Treffpunkt von Expressionisten und Vertretern der Neuen Sachlichkeit.

Bis auf den Namen und den Standort am Potsdamer Platz hat das neue Café Josty wenig mit dem früheren Kaffeehaus gemeinsam, in das viele Künstler 1913 übersiedelten, nachdem ein neuer Inhaber sie aus dem Café des Westens zugunsten zahlungskräftigerer Gäste vertrieben hatte.

Von einem Kaffee, der armen Bohémiens als „Eintrittskarte“ für einen ganztägigen Aufenthalt im Kaffeehaus diente, konnte ein Gastronom schließlich kein gewinnbringendes Geschäft erwarten.

Aus dem Café Josty, das zu einer gleichnamigen Konditorei gehörte, ist heute ein Restaurant mit Café geworden. Nun nehmen vor allem Touristen unter terrakottafarbenen Lichtschläuchen auf dunkelbraunen Holzstühlen ihren Kaffee ein.

Historisch ist allein der zum Josty gehörende prunkvolle, restaurierte Frühstückssaal des einstigen Grandhotel Esplanade, der heute als Event-Location dient.

Treffpunkt der feinen Gesellschaft

Auch Prag setzt auf den Glanz altehrwürdiger Namen. Die bekanntesten Traditionscafés befinden sich in der Altstadt: Slavia, Orient und Louvre. Seitdem in den 1980er Jahren in Europa das Interesse an der Kaffeehauskultur der Vorkriegszeit wieder entfachte, erlebt das Kaffeehaus in der Moldau-Stadt eine Renaissance.

Mehrere berühmte Kaffeehäuser öffneten wieder – so das Café Louvre, das mit einstigen Stammgästen wie Franz Kafka und Albert Einstein wirbt. Das weiträumige, mit rotem Marmor verkleidete Treppenhaus erinnert an die elegante Ausstattung des Cafés, in dem von 1902 bis 1948 die feine tschechische Gesellschaft verkehrte.

Nach der Wiedereröffnung 1992 blieb von mehreren Billard-Salons nur einer übrig.

Neugestaltung mit Chrom und Neonlicht

Das Louvre gehörte zu dem bis heute in Prag am weitesten verbreiteten Kaffeehaustyp, der mit Speisen und Getränken eher Gasthäusern entspricht und sich der böhmischen Bierkultur nähert. Dafür typisch ist auch die Verbindung mit einem Restaurant, wie beim 1884 gegründeten Café Slavia gegenüber dem Nationaltheater.

Der einstige Schauspieler-Treffpunkt wurde 1997 nach kurzer Schließung im Art-Deco-Stil der 30er Jahre wieder eröffnet – mit viel Chrom und Neonlicht zum Ärger der Prager, die das historische Ambiente vermissten.

„Rasender Reporter“ tanzte auf dem Tisch

Nahezu verschwunden ist die zweite Kaffeehausgattung aus der Glanzzeit des Prager Cafés: das Unterhaltungscafé mit Kabarett. Im Montmartre in der Kettengasse, einer der engsten Gassen der Altstadt, wird nach mehr als 60 Jahren zumindest wieder Kaffee ausgeschenkt.

Das einstige Nachtcafé, das mit dunklen Antikmöbeln ausgestattet ist, hat nur noch bis 23 Uhr geöffnet. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos der ehemaligen Gäste, etwa des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch beim Tanzbein-Schwingen im Montmartre.

Der Kabarettist Josef Waltner, dem das Café gehörte, stand hier selbst auf der Bühne. Heute gibt es keinen Tanz und kein Kabarett mehr.

Kubistisches Café mit originalgetreuem Interieur

Zu den Kaffeehäusern mit besonderer Ausstattung gehört das liebevoll restaurierte Grand Café Orient im Haus Zur schwarzen Mutter Gottes, das 2005 wieder öffnete. Das Interieur wurde anhand von Zeichnungen und Fotografien rekonstruiert.

Von der Buffet-Bar über die grün-weiß-gestreiften Sitze bis zum Kleiderhaken gleicht alles dem kubistischen Café, das sich ab 1912 für elf Jahre im ersten Stock befand. Das Gebäude mit kubistischem Grundriss und Fassade gehört zu den wichtigsten Beispielen des tschechischen Kubismus in Architektur und Design.

Auch im Café im Repräsentationshaus sind die Tische und Stühle Reproduktionen der Originalausstattung.

„Arconauten“-Stammtisch um Max Brod

Oftmals ist aber auch in Prag von den legendären Kaffeehäusern nach der Wiedereröffnung nicht mehr geblieben als der traditionsreiche Name – so beim völlig umgestalteten Café Arco. Dort verweist lediglich ein Gemälde am Eingang darauf, dass einst der Prager Kreis deutschsprachiger Autoren um Max Brod – auch „Arconauten“ genannt – hier seinen Stammtisch hatte.

An diesem nahmen auch Franz Kafka und Franz Werfel regelmäßig Platz. Das historische Café Arco ist noch im Prager Kafka-Museum zu sehen – auf Fotos in einer Vitrine, die passenderweise in einen Kaffeehaustisch eingelassen wurde.

Lesen, zeichnen, diskutieren

Im Vergleich zwischen Prag, Berlin und Wien scheint das Traditionsbewusstsein am stärksten in der österreichischen Hauptstadt ausgeprägt zu sein. In Wien blieben nicht nur deutlich mehr Traditionscafés erhalten oder wurden wiedereröffnet, hier wird auch gepflegt, was für die Glanzzeit der Kaffeehauskultur ausschlagend war:

Im Hawelka oder Bräunerhof sitzen Menschen über Manuskripte gebeugt, zeichnen, diskutieren oder lesen Zeitung. In der Regel vollzieht sich das abseits von Cafés wie dem Central, wo die Stadtbesucher auf der Suche nach der einstigen Kaffeehauskultur sind.

Artikelbilder: © Janine Wergin

Logbuch| Janine Wergin liebt die Feuilletons und kleinen Aphorismen, die um 1900 in den europäischen Kaffeehäusern entstanden sind. Sie hat sich damit in ihrer Magisterarbeit beschäftigt und Wien und Prag auf der Suche nach den Literatencafés von damals bereist…

Literaturtipps

  • Heise, Ulla: Kaffee und Kaffeehaus. Eine Kulturgeschichte. Hildesheim u.a. 1987.
  • Jähn, Karl-Heinz: Das Prager Kaffeehaus. Literarische Tischgesellschaften. Berlin 1988.
  • Rössner, Michael (Hrsg.): Literarische Kaffeehäuser. Kaffeehausliteraten. Wien u.a. 1999.
  • Schebera, Jürgen: Damals im Romanischen Café. Künstler und ihre Lokale im Berlin der Zwanziger Jahre. Berlin 2005.
  • Veigl, Hans: Wiener Kaffeehausführer. Wien 1989.
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Janine Wergin studierte Neuere Deutsche Literatur, Publizistik und Politikwissenschaft. Sie arbeitet als Redakteurin für die Bereiche Kultur und Panorama bei der Nachrichtenagentur dapd. Als freie Journalistin geht sie zudem seit 2009 ihrer Leidenschaft für regionale Themen nach - wie schon als Lokalredakteurin und Volontärin bei der Tageszeitung „Nordkurier“. Vor ihrer Zeit bei dapd war sie Onlineredakteurin beim Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk...

2 Kommentare

  1. Tja, schade! Ich war vor einer Woche in Prag. Leider den Beitrag zu spät gelesen. Ich hätte gerne in diesen Louvre Kaffee und Kuchen zu mir genommen. Ich hab aber auch die Leute nicht danach gefragt, nach Kafeehäusern. Da bin ich leider nicht darauf gekommen! Das nächste mal merke ich das mir, wenn ich einen Städtetrip mache.

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