Für Gert Meichle ist es ein Traumjob, für andere eine spannende Touristenattraktion. Einen Sonnenaufgang mit Alpenkulisse erleben, sich die Seebrise ums Gesicht wehen lassen. Früh aufstehen lohnt sich, um auf dem größten deutschen Binnensee einen Fischer bei seiner Arbeit zu begleiten…

Ein kalter Morgen gegen Sieben am Bodensee am Gondelhafen in Friedrichshafen. Die Sonne scheint nur leicht durch die Wolken. Die Fischer laufen aus mit ihrem Kahn in Richtung Berge, die sich schneebedeckt am Schweizer Ufer über ein paar Nebelschwaden auftürmen.

Wachsam schaut Gert Meichle geradeaus, stets den Kompass im Blick, dem Kurs zu seinen Netzen und legt mit dem Gashebel die 50 PS seines Schiffs nach vorn, während sein Vater hinten auf dem offenen Deck des kleinen Kahns noch schnell eine Zigarette raucht, auf dem Fischkanister sitzend.

Der Wind pfeift durch die Netze, Eimer und Taue, die auf dem Deck des Fischerboots verstaut sind. Immer wieder peitschen größere Wellen über den See, manche landen im Boot. Beide Männer haben dicke, grüne Öljacken mit Gummistiefeln an, die sie vor kalten Temperaturen, Wasser, Wind und Wellen schützen.

Fischkutter, eine Familientradition

Etwa eine Viertelstunde dauert die holprige, nasse Überfahrt zu den am vergangenen Abend ausgelegten Netzen. „Heute ist ein guter Tag, denn morgen am Karfreitag wollen meine Kunden ganz viel frischen Fisch, auch die, die sonst keinen kaufen“, sagt Meichle optimistisch. Mit Leib und Seele ist er Fischer, anders ginge das auch gar nicht.

Der 49-jährige macht diesen Job in der vierten Generation und hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Um vom Fischen mit seiner Familie, Frau und zwei Kindern, leben zu können, hat er sich ein zweites Standbein als Schreiner aufgebaut. Für beides hat er sich zuhause Werkstätten eingerichtet.

Seine Frau bereitet bereits zuhause die ersten Fische zum Verkauf vor, taut vorsorglich nach einem kurzen Handyanruf Fische aus dem Kühlschrank auf, wenn das Angebot nicht reicht, an Tagen wie heute. Zeit zum Innehalten hat Meichle bei der Arbeit kaum, denn seine Frau erwartet ihn bereits zum Markt. Trotzdem genießt er die Ruhe und Stille auf dem See, die es auf dem Land nicht so gebe.

 30 Kilo Fisch, früher 150 am Tag

Zweimal am Tag fährt Meichle in den Sommermonaten raus, um die Netze einzuholen oder Netze auslegen. Morgens gegen halb vier vor Sonnenaufgang, abends noch mal gegen Sieben. Im Schnitt fängt er 30 Kilo Fische, früher waren das mal bis zu 150 Kilo, wo das Boot fast unterging. „Die Fische haben weniger zu fressen, sie wachsen langsamer, weil zu wenig Plankton im See ist“, sagt sein Vater Wilhelm, 71, der die besseren Zeiten noch gut kennt.

Meichle sieht das gelassen „Wegen der paar Fische fahre ich nur raus, weil das meine Leidenschaft ist, ich das gerne tue“, sagt der bodenständige Fischer mit den großen Händen, die anpacken können. Früher, wo es noch mehr Fische gab, waren noch mehr Leute mit an Bord. Heute begleitet ihn ab und zu noch sein Vater, der ihm das Handwerk schon als junger Bursche vor 30 Jahren beigebracht hat.

Meichle und seine Kollegen fischen an mehreren Stellen im See, je nachdem, ob Felchen, die später geräuchert werden, Flussbarsche oder Hechte. Mit 49 Jahren gehört er zu den jüngeren Kollegen eines langsam aussterbenden Gewerbes, wegen dem Mangel an Fisch und Nachwuchs. „Das Klima auf dem See ist auch rauer geworden, wie auf dem Land“, sagt Meichle.

Billig-Konkurrenz aus Vietnam

Die Restaurants würden Billigfisch aus Vietnam importieren. Seine Stammkunden seien Privatleute auf dem Markt, die seine mühsame Handarbeit schätzen. Trotzdem ist der Beruf des Fischers weiter ein Lehrberuf, in dem man zum Fischwirt ausgebildet wird.

Für jeden Hauptfisch gibt es bestimmte Netze und Fangsysteme, die der Größe und den Lebensgewohnheiten der Fische angepasst sind. Meichle hat viele Netze draußen liegen, die mit Bojen befestigt sind. Allein die Schwebenetze für den Fischfang, indem sich die Felchen verfangen, sind über 400 Meter lang.

Was die Flussbarsche angeht, werden mehrere Bodennetze auf bis zu 150 Metern Tiefe für den Fang ausgeworfen und morgens wieder hochgezogen. Da hat Meichle alle Hände voll zu tun, über ein Kilometer Netzlänge komme da schon mal auf dem Boot zusammen.

Die Fischerei gehört zu dem ältesten Beruf am See und hat eine über 10.000 Jahre alte Tradition. Die heutige Fangtechnik hätten die Mönche auf der Bodensee-Insel Reichenau erfunden, sagt der Fischermann. Heute gebe es noch rund 140 Berufsfischer rund um den Bodensee, darunter auch sieben Frauen.

Bürokratie gibt es auch auf dem Boot

Doch die Bürokratie macht vor den Fischern des Bodensees nicht halt. Während Frauen erst seit knapp drei Jahrzehnten diesen Beruf in der Männerdomäne ausüben dürfen, kann der gelernte Fischermeister Meichle im Flachwasser seine Großreusen nur im badischen Bereich auslegen.

Was man wann fischen darf, ist genau vorgeschrieben, wie zum Beispiel die Maschenweite der Netze, die verhindern soll, dass zu kleine Fische noch vor ihrer Geschlechtsreife ins Netz gehen. Sonntags darf überhaupt nicht gefischt werden, da haben die Bodenseefische ihren Seefeiertag.

Heute ist nicht das beste Wetter, doch auch an schönen, sonnigen Tagen kommen hier einfach Stürme, Fönwinde oder dichter Nebel auf, die nicht vorhersehbar sind. „Viele Skipper unterschätzen den See, man muss vor ihm Respekt haben“, sagt Meichle.

Der See habe eine der höchsten Sterberaten bei Sporttauchern, „kalt, tief und windig“ sei er. Doch auch so manches Boot seiner Kollegen sei unbemannt von der Wasserpolizei aufgefunden worden. „Das sind dann häufig ältere Binnenfischer“, sagt er, „die es einfach nicht sein lassen konnten“. Und Schwimmwesten trage man sowieso nicht.

Viele Touristen freuen sich, wenn sie dem Fischer bei seiner Arbeit mal über die Schulter gucken können, bis zu zwei Personen können auf einer Fahrt mitkommen, die je nach Fanglage zwischen zwei und vier Stunden dauert. Viele würden über die besondere Stimmung auf dem See staunen, die sich im Minutentakt durch Wind, Wellen und Wolken ändern kann.

Bei diesem abwechslungsreichen Wetter sollte man nicht vergessen, sich sehr warm und wetterfest anzuziehen. „Schon so mancher ist mir auf dem Kahn seekrank geworden, oder hat sich einen Schnupfen geholt“, sagt der Fischer. Am Obersee.

Bodenseeköche tischen Felchen auf

Während der Felchenwochen drüben am Untersee probieren sich Gäste der Region vom 12. September bis 9. Oktober 2011 durch die ganze Bandbreite kreativer und klassischer Felchenrezepturen. Die Zubereitung des schmackhaften Bodensee-Fisches ist so individuell wie die Köche am Untersee, der auch als „feine Ecke“ vom Bodensee gilt.

Der Preis für das Felchenmenü ist auf der deutschen und der Schweizer Seeseite jeweils der Gleiche. Das Menü mit Vorspeise, Hauptgericht und Dessert mundet für 19,50 Euro am deutschen Ufer bzw. 33 Franken in der Schweiz.

Das Spektrum der Zubereitungsvarianten ist dabei unerschöpflich: Frittierte Felchenleber auf Kräutersalat, Felchen im Kartoffel- oder Sesammantel bis hin zum Hildegard-Felchenmenü mit Dinkelzutat werden serviert. Sogar ein paniertes Felchen nach Wiener Art war bereits im Angebot.

Die Felchen sind fangfrisch. Erst am Morgen sind sie den Untersee-Fischern in die Netze gegangen. Wer dies mit eigenen Augen sehen möchte, hat als Gast des Hotels Hirschen in Gaienhofen die Gelegenheit, den Fischer Martin Dietrich am frühen Morgen auf den See zu begleiten.

Nach getaner Arbeit lädt er seine Gäste zum zünftigen Fischerfrühstück mit Kaffee, Brötchen und Felchenkaviar aus dem frischen Fang. Fische und Co. stehen auch im Mittelpunkt der Ausstellung „Fisch für Kunst“, die z.B. vom 22. September bis 31. Oktober 2011 in Allensbach zu sehen ist.

Künstler, die in der Bodenseeregion leben, zeigen darin Werke, in denen Fische im Mittelpunkt stehen, darunter auch Fotos der skurrilen Fische im Badeanzug des Konstanzers Markus Brenner.

Artikelbilder: © Jan Thomas Otte

Logbuch| Jan Thomas Otte fuhr gerne beim Friedrichshafener Fischer Meichle mit, in der Saison von April bis September ist es auch wärmer! Eine Stunde vor Sonnenaufgang geht’s los, abends verlässt der Fischer den Gondelhafen…

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Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

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